»Nie wieder« ist Jetzt!

Im November 2023 treffen sich führende Mitglieder der rechtsextremen Szene und AfD-Mitglieder in einem Hotel in der Nähe Potsdams. Dort wird beschönigend »Remigration« genannt, was Massenvertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland meint. Das Bekanntwerden dieses Treffens, hat bundesweit eine Welle des Protestes ausgelöst.

Seitdem ist die bislang eher schweigende »Mitte der Gesellschaft« aufgewacht. Menschen begeben sich zu hunderttausenden auf die Straßen, um ihren entschiedenen Widerstand gegen die menschenverachtenden Haltungen rechter Gruppen und der AfD zum Ausdruck zu bringen – Gott sei Dank, endlich!

Das eigene Schweigen gegenüber sozialer Ausgrenzung und Missachtung der Würde aller Menschen bringt viel Schlimmes ein: Es verhilft, dass andere noch viel lauter schreien.

Das ist keine neue Erkenntnis. - »Alles, was das Böse braucht, um zu obsiegen, sind gute Menschen, die nichts tun.« sagte irisch-britische Staatsphilosoph Edmund Burke.

Es steht nichts weniger als die grundsätzliche menschliche Frage auf dem Spiel: Wie wollen wir leben? In einer demokratischen Ordnung, die auf Freiheit, Gleichberechtigung und Respekt der Würde aller Menschen aufgebaut ist oder unter einem Neonaziregime, das alle Unliebsamen mit den Füßen tritt?

Jetzt seinen Protest aktiv kundzutun, bedeutet leibhaftig und tatkräftig für den Zusammenhalt aller Menschen in unserer Gesellschaft einzustehen und nicht stillhaltend abzuwarten, dass die AfD immer weiter Zulauf gewinnt. Es wäre am Ende die Abschaffung der Demokratie mit ihren eigenen Mitteln.

»Was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut ihr ihnen zuerst.« (Mt. 7, 12) Wie diese Worte Jesu bleibt der Satz Erich Kästners wahr: »Es gibt nichts Gutes / außer man tut es.« Um bunt, offen und menschlich zu bleiben, reicht eine Demonstration nicht aus. Wir müssen es zu einer tätigen Haltung in unserem Alltag werden lassen. Es soll nicht das »letzte Aufgebot« gegen rechts sein, sondern das erste! Wir sind gewarnt! »Nie wieder« ist Jetzt!

Andreas Bader, Pfarrer

 

Von der existenziellen Bedeutung der Stille

»Was wir tun können – wenn auch im neuen Jahr die Dinge Überhand nehmen« Von der existentiellen Bedeutung der »Stille«

Oft wenn ich morgens aufwache, sind sie schon da ‑ die Gedanken: Was steht heute an? Was ist zu erledigen? Was muss ich tun? Häufig sind dann die Gedanken mit Sorgen verbunden: Werde ich das schaffen? Habe ich die nötige Kraft dazu? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein und welche müsste ich erfüllen, damit …? ‑ Also: »Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da? – Habt ihr gut geschlafen? Na, dann ist ja alles klar.«

Die Gedanken kreisen um sich selbst, geben sich gegenseitig die Hand, wollen mich in ihnen verstricken … und die Sorgen werden größer, Ängste bekommen besonderes Gewicht – manchmal bleischwer erdrückend. Niemand schafft es so, glücklich zu werden. So kann auch ein produktives Arbeiten nicht geschehen.

Aber wie den Gedanken Einhalt gebieten? »Stopp!« sagen. Das Kreisen unterbrechen. - Gar nicht so einfach, wenn man glaubt, an der Lösung der aufgeworfenen Probleme hinge doch alles Vorankommen. Dann bin ich sofort zurück im Gedankenkreisen.

Was mir tatsächlich hilft ist, mich auf das Jetzt zu konzentrieren. Jetzt schlage ich die Bettdecke zurück. Jetzt setze ich einen Fuß nach dem anderen neben das Bett. Jetzt setze ich mich auf die Bettkante. Jetzt stehe ich auf …und so fort. Nichts anderes als dieses Jetzt – die bloße Gegenwart – Atemzug um Atemzug. – Vergangenes ist vergangen, die Zukünftiges ist noch nicht.

Im Jetzt der Gegenwart komme ich zu mir und zur Ruhe. Ich erlebe, dass ich frei bin zu entscheiden, was ich tun werde. Ich kann mit den anliegenden Dingen umgehen, und eins nach der anderen Schritt für Schritt in Angriff nehmen.

Will ich jedoch in mir zur Ruhe und in die Stille kommen, muss ich wissen, wie das geht. Mir persönlich helfen Meditationsübungen: Das Sitzen in der Stille. QiGong-Übungen zur körperlichen Zentrierung und geistigen Beruhigung. Die Konzentration auf die bloße Gegenwart des Atems. Bei anderen ist es das abendliche Radfahren oder mit dem Trecker das Land bestellen. Hier kann man sich selbst mit allen Gedanken und Sorgen loslassen und sein lassen. Ich „bekomme den Kopf frei“, bin wach und gegenwärtig.

Niemand hat die Sehnsucht nach Stille so schön ausgedrückt wie Rainer Maria Rilke:

Wenn es nur einmal so ganz still wäre.

Wenn das Zufällige und Ungefähre

verstummte und das nachbarliche Lachen,

wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,

mich nicht so sehr verhinderte am Wachen ...

Dann könnte ich in einem tausendfachen

Gedanken bis an deinen Rand dich denken

und dich besitzen (nur ein Lächeln lang),

um dich an alles Leben zu verschenken

wie einen Dank.

Für mich ist die Stille der Schritt in das bedingungslose Vertrauen zu Gott. Ich stelle mich in seine Gegenwart und erlebe ihn als den immer tragenden Grund, in jedem Moment meines Alltags.

»Stille« bedeutet nicht bloß „Schweigen“ und nicht allein die „Abwesenheit von Lärm“, sondern dass die eigenen Gedanken-Geräusche verebben. In mir selbst zur Ruhe und Rast zu kommen, heißt: Ich komme zu Gott, in seinen Frieden – Grundvoraussetzung für ein gelingendes und glückliches Leben, das ich an andere verschenke, wie einen Dank.

Jesus sagte in seiner Bergpredigt: »Sorgt nicht um eurer Leben!« Die beste Zeit, sich keine Sorgen zu machen ist »Jetzt«! – in meiner Gegenwart, in der Gott zugleich anwesend ist.

Die Möglichkeit innerlich zur Ruhe und Rast zu kommen, habe ich immer, wenn ich mich auf die »Stille« einlasse auch im Neuen Jahr 2024.

Andreas Bader

»Was wir tun können – wenn auch im neuen Jahr die Dinge Überhand nehmen« Von der existentiellen Bedeutung der »Stille«

Oft wenn ich morgens aufwache, sind sie schon da ‑ die Gedanken: Was steht heute an? Was ist zu erledigen? Was muss ich tun? Häufig sind dann die Gedanken mit Sorgen verbunden: Werde ich das schaffen? Habe ich die nötige Kraft dazu? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein und welche müsste ich erfüllen, damit …? ‑ Also: »Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da? – Habt ihr gut geschlafen? Na, dann ist ja alles klar.«

Die Gedanken kreisen um sich selbst, geben sich gegenseitig die Hand, wollen mich in ihnen verstricken … und die Sorgen werden größer, Ängste bekommen besonderes Gewicht – manchmal bleischwer erdrückend. Niemand schafft es so, glücklich zu werden. So kann auch ein produktives Arbeiten nicht geschehen.

Aber wie den Gedanken Einhalt gebieten? »Stopp!« sagen. Das Kreisen unterbrechen. - Gar nicht so einfach, wenn man glaubt, an der Lösung der aufgeworfenen Probleme hinge doch alles Vorankommen. Dann bin ich sofort zurück im Gedankenkreisen.

Was mir tatsächlich hilft ist, mich auf das Jetzt zu konzentrieren. Jetzt schlage ich die Bettdecke zurück. Jetzt setze ich einen Fuß nach dem anderen neben das Bett. Jetzt setze ich mich auf die Bettkante. Jetzt stehe ich auf …und so fort. Nichts anderes als dieses Jetzt – die bloße Gegenwart – Atemzug um Atemzug. – Vergangenes ist vergangen, die Zukünftiges ist noch nicht.

Im Jetzt der Gegenwart komme ich zu mir und zur Ruhe. Ich erlebe, dass ich frei bin zu entscheiden, was ich tun werde. Ich kann mit den anliegenden Dingen umgehen, und eins nach der anderen Schritt für Schritt in Angriff nehmen.

Will ich jedoch in mir zur Ruhe und in die Stille kommen, muss ich wissen, wie das geht. Mir persönlich helfen Meditationsübungen: Das Sitzen in der Stille. QiGong-Übungen zur körperlichen Zentrierung und geistigen Beruhigung. Die Konzentration auf die bloße Gegenwart des Atems. Bei anderen ist es das abendliche Radfahren oder mit dem Trecker das Land bestellen. Hier kann man sich selbst mit allen Gedanken und Sorgen loslassen und sein lassen. Ich „bekomme den Kopf frei“, bin wach und gegenwärtig.

Niemand hat die Sehnsucht nach Stille so schön ausgedrückt wie Rainer Maria Rilke:

Wenn es nur einmal so ganz still wäre.

Wenn das Zufällige und Ungefähre

verstummte und das nachbarliche Lachen,

wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,

mich nicht so sehr verhinderte am Wachen ...

Dann könnte ich in einem tausendfachen

Gedanken bis an deinen Rand dich denken

und dich besitzen (nur ein Lächeln lang),

um dich an alles Leben zu verschenken

wie einen Dank.

Für mich ist die Stille der Schritt in das bedingungslose Vertrauen zu Gott. Ich stelle mich in seine Gegenwart und erlebe ihn als den immer tragenden Grund, in jedem Moment meines Alltags.

»Stille« bedeutet nicht bloß „Schweigen“ und nicht allein die „Abwesenheit von Lärm“, sondern dass die eigenen Gedanken-Geräusche verebben. In mir selbst zur Ruhe und Rast zu kommen, heißt: Ich komme zu Gott, in seinen Frieden – Grundvoraussetzung für ein gelingendes und glückliches Leben, das ich an andere verschenke, wie einen Dank.

Jesus sagte in seiner Bergpredigt: »Sorgt nicht um eurer Leben!« Die beste Zeit, sich keine Sorgen zu machen ist »Jetzt«! – in meiner Gegenwart, in der Gott zugleich anwesend ist.

Die Möglichkeit innerlich zur Ruhe und Rast zu kommen, habe ich immer, wenn ich mich auf die »Stille« einlasse auch im Neuen Jahr 2024.

Andreas Bader

Der schweigende Josef - Von der Kraft weihnachtlicher Stille

Er ist meine Lieblingsfigur in der Krippe zu Weihnachten 2023. Ein Mann, der mitten im Geschehen der Heiligen Nacht steht, ganz nahe bei Maria und dem Kind. Oft hält er in den Darstellungen eine Laterne in der Hand. Er beleuchtet das geheimnisvolle Geschehen, damit gesehen und erkannt wird, was da passiert. Aber er redet nicht, verharrt im Schweigen und in der Stille. Er ist vielleicht gerade auf diese Weise ganz und gar eins mit dem Ereignis.

Ich meine Josef, den Heiligen aller Randfiguren. Bräutigam der Gottesmutter. In der ganzen Bibel ist kein einziges Wort von ihm überliefert. Sein Schweigen beruhigt mich - angesichts des Übermaßes der Schreckensnachrichten, die jeden Tag mit neuen Zahlen der Todesopfer der Kampfhandlungen in aller Welt, mit der verzweifelten Situation der Flüchtlinge in Gaza, mit der finanziellen Schieflage unseres Staates beginnen und enden lassen. – Josef, seine Stille, seine Ruhe berühren mich.

Josef ist kein tatenloser Statist. Er ist ein Mann der Tat, der praktischen Hilfe: Er organisiert die Reise von Nazareth nach Bethlehem unter weit schwereren Bedingungen als sie heute gegeben sind. Angesichts der wegen Überfüllung geschlossenen Hotels bringt er seine schwangere Verlobte, zwar nicht besonders komfortabel, aber doch sicher in einem Stall unter. Und als Maria ihr Kind zur Welt gebracht hat, steht er ihr weiterhin helfend zur Seite. Er sucht keine dankbare Anerkennung, sondern tut einfach und spontan, was notwendig ist. 

Von der Hilfsbedürftigkeit Marias damals und Josefs Handlungsbereitschaft ist in einem alten Weihnachtslied vom Anfang des 15. Jh. die Rede: »Joseph, lieber Joseph mein, hilf mir wiegen das Kindelein!/ Gott, der wird dein Lohner sein/ im Himmelreich,/ der Jungfrau Sohn Maria.« - Und Josef hilft, ohne viele Worte, schweigend, praktisch. – Die Worte der 2. Strophe des Liedes wird er kaum laut gesprochen haben, sondern schlicht getan haben: »Gerne, liebe Muhme mein, /helf’ ich wiegen dein Kindelein, / Gott, der wird mein Lohner sein /im Himmelreich,/ der Jungfrau Sohn Maria.«

Weihnachten 2023 ist Josef mein Vorbild. In der Ruhe, die aus der Stille kommt, handelt er, tut er, was getan werden muss. Er tut es ‚gerne‘, ohne zu zögern, weil es notwendig ist. Nicht allein das Wiegen, nicht allein das Schützen der Familie, er trägt auch die Verantwortung bei der späteren Flucht nach Ägypten, um den Häschern des Königs Herodes zu entrinnen, die jede männliche Neugeburt töten wollen. Josef zeigt Rückgrat.

Die Kraft dafür kommt aus der Stille. In ihr hört er Gottes Wort, das Geheimnis von Weihnachten: Christus ist in seinem Leben »Fleisch« geworden. In seinem Tun gibt er davon ein lebendiges Zeugnis. 

»Der lebendige Drang dieses Wortes geht dahin, Fleisch zu werden, Fleisch zu werden in uns. Und wenn wir so von ihm bewohnt sind, dann sind wir dafür geeignet, Zeugen zu werden.« schreibt Madeleine Debrêl.

Josef ist diesem Drang in schwerer Zeit gefolgt. Er hat die Botschaft von Weihnachten in Ruhe und praktisch verwirklicht und ist damit zum Zeugen der Verkündigung des Engels geworden: »Fürchtet euch nicht, denn euch ist heute der Retter geboren.«

Wer dem Beispiel Josefs folgt, macht aus der Kraft der Stille Weihnachten praktisch. Ist Weihnachten 2023 nicht die beste Gelegenheit dazu? Und könnte es einen größeren Segen für unsere gegenwärtig so bedrohte Welt geben? 

In diesem Sinne wünsche ich euch allen: Gesegnete Weihnachten! Seid Gott befohlen und bleibt behütet.

Andreas Bader, Pfarrer

Von der Schuld und dem Schuldigsein

Sich zu sich selbst zurückrufen sollen, heißt schuldig sein. (M. Heidegger)

Es scheint, als handele es sich bei »Schuld« um eine der am besten verteilten Sache. Jeder hat sie und kein Mensch auf dieser Erde ist frei von Schuldgefühlen. Das schlechte Gewissen deckt die Schuld auf. Es klagt an, dass ich nicht so gehandelt habe, wie ich hätte handeln sollen und wie ich auch aus dem Grunde meines Herzens handeln will, um mit mir selbst identisch zu bleiben.

Schuldgefühle entstehen durch Ungerechtigkeiten, Verletzungen und Fehler im Umgang mit den Dingen, den anderen und auch mit mir selbst. Schuld haben und schuldig sein kann ich sowohl meinen Mitmenschen als auch mir selbst gegenüber. 

Selbstvorwürfe sind hier jedoch so verbreitet wie zwecklos – sie verhindern, die richtigen Fragen zu stellen und nach vorn zu blicken. Was soll es helfen, sich über sich selbst zu ärgern?

Für die meisten Menschen besteht Schuld in aktuellen Fehlern und Vergehen. Das Gewissenruft sie dazu auf, die rechte Ordnung des Lebens und Miteinander-Seins wiederherzustellen, indem sie andere um »Ent-Schuldigung« bitten, indem sie versuchen, die Schuldauszugleichen und auf irgendeine Weise wieder gutzumachen, sie zurückzuzahlen und soSchuld zu sühnen. Sie tun dies möglicherweise auch, um drohenden Konsequenzen zu entgehen: Der Wut und dem Zorn der anderen und ihrer Revanche – was eine fragwürdige Duckmäuserei wäre!

In der philosophischen und auch der christlichen Tradition wurde vom aktuellenSchuldigsein eine grundsätzliche, dem Menschen wesenhaft zugehörige Schuld unterschieden. Aus dieser stets gegenwärtigen Möglichkeit der Schuld kann sich der Mensch durch keinerlei gute Tat selbst entledigen. Kein eigenes Werk kann ihn dauerhaft gerecht machen. Wir bleiben, wie es Martin Luther ausdrückte: »zugleich Sünder und Gerechte – simul iustus et peccator.«

Die Tatsache, dass es im Leben eines jeden faktisch immer wieder – trotz aller Anstrengung - dazu kommt, unrecht zu handeln und so schuldig zu werden, zeigt dass es eine menschliche Tendenz zu Fehlern und Unrecht gibt. Ich soll gut sein und will Gutes tun und kann es doch immer wieder nicht. »Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.« sagt Paulus (Röm. 7,19) und fragt wenig später: Wer wird mich aus diesem Dilemma befreien?

Alles eigene Handeln zur Befreiung von Schuld greift nicht. Es führt vielmehr tiefer in die Schuldverstrickung. Niemand kann auch Verzeihung erzwingen. Um Entschuldigung können wir nur bitten. Es bleibt in der Freiheit des Gegenübers, sie zu gewähren.

Der wichtigste Schritt im Umgang mit Schuld ist, sie zu akzeptieren, Fehler anzuerkennen und zu ihnen zu stehen, kurz für das, was ich getan habe, den Kopf hinzuhalten. »Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Gott treu und gerecht, dass er uns von den Sünden befreit.« (1. Joh. 1, 9). Das Zugeben und Annehmen dessen, was falsch war, ist zugleich auch das Zulassen und Annehmen meiner selbst. Ich bekenne mich zu meinen Fehlern, wage Verantwortung. Ich hole mich zu mir selbst zurück. 

Das Bekenntnis zu dem, was ich getan habe, ist möglich in der Hoffnung und dem Vertrauenauf Gottes Treue und Liebe. Es ist die Hinwendung und Hingabe zu ihm und damit zu meinem wahren Selbst.

Befreiung von Schuld gibt es nur in der Selbsthingabe meiner ganzen Person an Gott. Es gibt sie nur »in Christus«, würde Paulus sagen, d.h. am Ort meines wahren Selbst. 

»Vergebung der Sünden« ist in neutestamentlicher Perspektive niemals nur Gottes Nachsicht gegenüber meinen aktuellen Fehlern, Schwächen und den Verletzungen anderer durch mich. Gott sagt nicht einfach: »Schwamm drüber!« Sondern: »Komm zu mir. Hier bist du frei davon, sündigen zu müssen.« 

In der Verweigerung solcher vertrauensvollen Hingabe zeigt sich meine natürliche Tendenz zur Abwendung Gott gegenüber. Martin Luther nannte es die Wurzel der Sünde: »Anfang und Grund aller Sünde ist von Gott weichen und ihm nicht trauen.« Ohne dieses Grundvertrauen bleibe ich dazu verurteilt, doch wieder aus eigenen Kräften und mit eigenen Mitteln Wege aus der Schuld zu suchen. – Mit all den wirren Folgen des Ausweichens (»Ich war’s nicht, der da war’s“) der Selbstrechtfertigung (Ich konnte ja nicht anders…) bis zur Selbstherrlichkeit, die die Schuld überhaupt ignoriert.

 

Was ich schuldig bin zu tun ist, dieses Vertrauen stets neu zu wagen. Es ist nichts anderes alsmich zu mir selbst und so eben zu Gott zurückzurufen. Dieses Sich-Zurückrufen ist ein, wenn nicht der entscheidende Schritt im Leben: Damit mein Leben nicht von Schuld bestimmt wird, sondern ich mein Leben selbstbestimmt gestalten kann - mit offener Herzlichkeit und Freundlichkeit zu meinen Mitmenschen und auch zu mir selbst.

Freundlichkeit bedeutet nie, dass ich den anderen alles durchgehen lasse. Sie kennt auch das deutliche: »Bis hierher und nicht weiter!« Sie verliert nicht die eigene Haltung und nicht den eigenen Standpunkt.

Weil ich auch den Schritt der Hingabe und das Wagnis des Vertrauens nicht selbst in der Hand habe, weil auch Vertrauen niemals unser »Werk« sein kann, verhelfe uns dazu Gott.

Pfarrer Andreas Bader

„Auf ein Wort – der monatliche geistliche Impuls

Unter diesem Stichwort können Sie ab diesem Monat einen Impuls finden, der zum Nachdenken und vor allem zum Nachleben anregen soll.

Die spirituellen Impulse sollen den eigenen Gedanken auf die Sprünge helfen und zur Inspiration, zur Stärkung und auch zum Trost verhelfen. In vielfältigen Perspektiven und mit unterschiedlichen thematischen Stichworten wird das glaubende Vertrauen als Grund und Ziel menschlichen Lebens beschrieben, damit die Möglichkeit glücklichen und gelingenden Leben wirklich werden kann.

Im Laufe der Zeit wird sich ein Fundus solcher spirituellen Impulse ansammeln, der zum Stöbern einlädt und ggf. zur eigenen Vergewisserung führt.

Vom Nullsummenspiel und der Win-Win-Strategie

Es ist besser, gemeinsam zu gewinnen, als allein zu siegen.

Eine Zen-Geschichte aus Japan berichtet von einem jungen Mann, der in einem Zen-Kloster Befreiung suchte. Er erklärt dem Meister: „Ich suche Freiheit. Aber ich habe nicht die Kraft und die Ausdauer, irgendetwas lange durchzuhalten. Niemals könnte ich Jahre der Meditation ertragen.“ Der Meister sagte: „Worauf hast du dich in deinem bisherigen Leben am meisten konzentriert?" Der junge Mann antwortete: „Eigentlich hat mich nur das Schachspiel wirklich interessiert. Damit verbachte ich die meiste Zeit.“

Der Meister ließ nach einem erfahrenen Mönch rufen, der ein guter Schachspieler war. Die Figuren wurden aufgestellt. Dann sagte der Meister, indem er ein Schwert zog: „Ihr werdet jetzt eine Partie Schach spielen. Dem Verlierer werde ich den Kopf abschlagen.“ Die Männer spürten, dass es dem Meister ernst war. Dem jungen Mann trat der Schweiß auf die Stirn. Das Schachbett vor ihm wurde ihm zur einzigen Welt, so sehr konzentriert war er auf jeden Zug. Anfangs schien es schlecht um ihn zu stehen. Dann aber machte sein Gegner einen überhasteten Zug, und er begann eine Figur des Mönches nach der anderen zu schlagen. Dann sah er verstohlen in dessen Gesicht. Es war das Gesicht eines aufrichtigen Mannes, geläutert durch Jahre der Meditation und des Strebens nach Befreiung. Da kam ihm sein eigenes, zerfahrenes Leben in den Sinn. Eine Welle von Mitgefühl erfasste sein Herz. Absichtlich beging er einen Fehler, dann noch einen...

Da beugte sich plötzlich der Meister nach vorn und stieß das Brett mitsamt den Figuren zu Boden. Er sagte zu dem Jungen: „Es gibt niemals nur einen, der gewinnt, und nur einen, der verliert. Deshalb sind zwei Dinge auf dem Weg zur Befreiung erforderlich: Konzentration und Mitgefühl. Heute hast du beides gelernt. Du warst vollständig konzentriert und hast doch auch Mitgefühl empfunden. Bleibe hier, schule deinen Geist in dieser Haltung und auch du wirst Befreiung erlangen.“

Das Schachspiel ist ein klassisches Beispiel für ein »Nullsummenspiel«: Mein Gewinn ist der Verlust des Gegners bzw. ich gewinne auf Kosten des anderen. Handelt es sich nur um ein Gesellschaftsspiel, fällt das Bedenkliche eines solchen Siegens und Verlierens nicht gleich ins Auge. Anders sieht es aus, wenn es um mein Zusammenleben mit anderen geht, insbesondere beim Streit und Konflikt untereinander, bei dem einer von beiden Beteiligten ggf. »der Kopf abgeschlagen« wird. Ein »Nullsummenspiel« bedeutet meist Strategien wie Kampf – dann gibt es Sieger und Verlierer - oder Kompromiss, wo alle ein bisschen verlieren und auch ein bisschen gewinnen. Beides ist für ein gelingendes Leben miteinander nicht besonders geeignet. Auch dem Kompromiss bleibt der schale Geschmack des Verlierens.

Viel besser ist es, wenn Lösungen gefunden werden können, mit denen alle Beteiligten gewinnen können, eben »Win-Win-Strategien«. Dazu ist es nötig, bei aller Konzentration auf mein Ziel zu beachten, dass ich es nur mit anderen gemeinsam erreichen kann. Es ist wichtig, die anderen wohlwollend im Blick zu behalten und mitzufühlen. – Was hätte der junge Mann in der Geschichte geerntet, wenn der alte Mönch bei seiner Niederlage das »Gesicht verloren« hätte? Hätte er nicht so das Gegenüber zur Stärke gereizt und Rache fürchten müssen?

Für mich gilt das auch im Blick auf die Situation von Palästinensern und Israelis heute. Solange beide sich im Teufelskreis des »Nullsummenspiels« von Angriff und Revanche halten, wird ein wirklicher Frieden im Nahen Osten wohl unmöglich bleiben.

Bereits dem Kaiser und Philosophen Marc Aurel war das Absurde eines Nullsummenspiels bewusst. Er war überzeugt, dass jeder die Freiheit besitzt, vernünftig und gut handeln zu können, ohne die Entschlossenheit des eigenen Urteils aufzugeben. Dazu ist es notwendig, jedem anderen mit Freundlichkeit und Mitgefühl zu begegnen, auch wenn er mir Schwierigkeiten bereitet. Zuletzt ist nämlich die Wut über den andern einerseits und die ängstliche, panische Flucht vor ihm andererseits die jeweils eine und andere Seite derselben Medaille. Beides läuft auf die Abkehr von der Gemeinschaft hinaus, zu der ich als Mensch bestimmt bin.

Die Gemeinschaft ist Sinn und Ziel von Jesu Gebot der Feindesliebe. »Liebet eure Feinde. Tut wohl denen, die euch hassen!«, damit ihr, was euch anbetrifft, die Möglichkeit aufrechterhaltet, miteinander weiterzumachen. Liebe aber zeigt sich, wenn das eigene Unterliegen nicht zum Ausnutzen der Situation durch den anderen reizt. »Der nur liebt dich, bei dem du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren.« (Th. W. Adorno) Liebe sucht entschlossen immer nach Möglichkeiten, gemeinsam zu gewinnen. Ein Nullsummenspiel ist ihr völlig fremd.

Pfarrer Andreas Bader

Wenn unser Vorhaben scheitert…— von der Bedeutsamkeit des „Plan B“

„Das meiste geschieht nach Plan B“, hat mein Freund und Pfarrkollege aus der UCC-Gemeinde in Ohio/USA einmal gesagt, als wir den Plan für den Gottesdienst noch einmal ändern mussten, und zwar kurz bevor dieser begann. 

Ein kleines Bespiel für die umfassende Notwendigkeit von Flexibilität im Leben. Allein solche „Biegsamkeit“ im Umgang mit den Dingen und uns selbst macht mich lebendig. Das stimmt nicht nur für all das, was ich so will und mir in den Kopf gesetzt habe. Wenn ich feststelle, dass bestimmte Ziele nicht oder nicht auf diese Weise zu erreichen sind, dann hat es wenig Sinn, es nur mit noch mehr Energie, Anstrengung und Wollen weiterhin zu versuchen. In gleicher Weise ist es unklug, zu viel zu wollen oder sich am Tag zu viel aufzuhalsen. Ganz zu schweigen von den vielen Gedanken und Sorgen, die meine Seele belasten: Die meisten dieser Befürchtungen treten dann doch nicht ein.

Flexibilität und die Fähigkeit, Distanz zu nehmen, ist auch gefragt, wenn das Konsumieren überhandnimmt und ich das Gefühl bekomme, dass mein Besitz mich besitzt. Wie viel wird gekauft – und gesammelt, weil man meint, es irgend-wann einmal verwenden zu können. Wieviel Kleidung habe ich, die ich nie getragen habe und wohl auch nie tragen werde. Trotzdem häufe ich sie an. Und womit fülle ich außerdem meine Wohnung an? Dinge, die mich beengen und mir den Raum zum Leben und Atmen nehmen. 

Die Rock-Gruppe Silbermond aus Bautzen sang in einem ihrer Lieder entsprechend: »Eines Tages fällt dir auf, dass du 99% nicht brauchst. Du nimmst all den Ballast und schmeißt ihn weg. Denn es reist sich besser mit leichtem Gepäck.«

Das Los- und Seinlassen des ganzen Ballasts, all der Pläne A, schafft den Freiraum, den Plan B finden zu können. Der Plan, der notwendig wird, wenn meine Absicht – wie so oft…scheitert. Seinlassen-Können bedeutet, mit Besonnenheit und Gelassenheit mit allem umzugehen. Solche Gelassenheit ist Lebendig-Sein. Seine Voraussetzung ist, sich selbst zu unterbrechen, sich nicht auf etwas zu fixieren, sich an nichts absolut zu binden. Solche Gelassenheit bedeutet dem Ewigen, Gott, dem eigenen Lebensgrund in sich Raum zu geben– Er selbst ist der Plan B zu all meinen Plänen A1®n, der mir die Möglichkeit gibt, einen neuen Plan A2 oder 3 zu fassen.

Dorothee Sölle hat diesen Gedanken in einem Gedicht so formuliert:

Du sollst Dich selbst unterbrechen 
Zwischen Arbeiten und Konsumieren 
- soll Stille sein und Freude, 
zwischen Aufräumen und Vorbereiten 
- sollst du es in Dir singen hören, 
Gottes altes Lied von den sechs Tagen 
- und dem einen, der anders ist. 
Zwischen Wegschaffen und Vorplanen 
- sollst Du Dich erinnern an diesen ersten Mor-gen, 
Deinen und aller Anfang, 
- als die Sonne aufging ohne Zweck 
und Du nicht berechnet wurdest in der Zeit, die niemandem gehört 
- außer dem Ewigen. 

Pfarrer Andreas Bader

Vom Verbunden-sein

Was mich stark macht für den nächsten Schritt.

Was verbindet den Cellisten Yo-Yo Ma mit der Punkrock Band Die Toten Hosen? Was verbindet Barbara Streisand mit Johnny Cash? Was DJ Ötzi mit Andrea Bocelli? Was die irische Musikgruppe Celtic Woman mit Pink Floyd? - Alle zusammen sind Musiker! 

Weiterfragt: Was verbindet sie alle zusammen mit dem Fußball, genauer und allen voran mit dem FC Liverpool und dann auch mit Borussia Dortmund? - Es ist das Lied »You’ll Never Walk Alone«. 

Das Stück stammt ursprünglich von Richard Rodgers (Musik) und Oscar Hammerstein (Text), das beide für das Finale des Broadway-MusicalsCarousel (1945 uraufgeführt) geschrieben haben. Allgemein bekannt wurde das Lied durch die Liverpooler Combo »Gerry and thePacemakers«, die damit 1963 wochenlang die britischen Charts anführte. Seitdem erklingt es als Stadion-Hymne an der Anfield-Road und ist zu dem wohl bekanntesten aller Fangesänge geworden. Das Kürzel »YNWA« diente schon zur Namensgebung für Kinder. Seit 1996 schließlich ist es mit einem neuen Arrangement auch im Westfalenstadion in Dortmund zu hören.

Wer schon live im Stadion »You’ll Never Walk Alone« mitgesungen oder mitgehört hat, besonders im Liverpooler Stadion an der Anfield Road, der hat den Zauber des Liedes erfahren. Er hat hautnah erlebt, wie sehr der Song die Fans zusammenschweißt, wie sehr er der eigenen Mannschaft den Rücken stärkt, wie sehr der Zusammenhalt von Fans und Mannschaft drohende Niederlagen in Siege verwandelt: „Du wirst niemals allein gehen!“

Das Wundervolle und Zauberhafte dieses Gesangs besteht gerade darin, dass er vom Verbunden-Sein spricht. Er redet von einem »Wir-Gefühl«, von der Gemeinschaftstreue in schwerer Zeit. Ein Blick in den Original-Text macht das klar: „Wenn du durch einen Sturm gehen musst – behalt deine Kopf oben. / Und hab keine Angst vor der Dunkelheit – Am Ende des Sturms gibt es einen goldenen Himmel / und das lieblich silberne Lied einer Lerche. 

- Geh‘ weiter! Durch den Wind - Geh‘ weiter! Durch den Regen / Auch wenn deine Träume hin und hergeworfen oder weggeweht werden.

- Geh weiter! Geh weiter! Mit Hoffnung im Herzen. / Und: Du wirst niemals allein gehen/ Niemals gehst du allein!“

Es ist das Gefühl der Verbundenheit mit anderen, das mich Schwierigkeiten überwinden lässt. Das Empfinden, in einer Gemeinschaft zu leben, macht mich lebendig, kreativ, mutig für den nächsten, vielleicht schweren Schritt. Ich bin nicht allein – niemals – das macht mich stark. Weiß Gott: Das ist nicht nur im Stadion so. Die »gelbe Wand im Rücken« und »echte Liebe im Herzen« sind, übertragen gedacht, in jedemAugenblick meines Lebens entscheidend. In einem Interview hat Gerry Marsden gesagt: »Manche sagen, das Lied ist wie ein Gebet. Ich glaube, diese Leute haben Recht.«

Mein Leben ist für die Gemeinschaft mit anderen bestimmt. Je mehr ich mich mit ihnen verbunden fühle, desto leichter ist es, auch Stürme, Scheitern, zerplatzte Träume und Wünsche zu überwinden. In der Begegnung mit anderen, sagt Jesus, »bin ich mitten unter ihnen.« Das macht es möglich weiterzugehen. 

»Geh weiter!« Mach einen Schritt nach dem anderen! Verhake dich nicht in deinen Vorstellungen, Ängsten und Sorgen! Das ist die wichtigste Anweisung durch alle Religionen hindurch. Es ist die zentrale Forderung des Zen-Buddhismus Japans wie auch des Christentums. »Geh, geh weiter, setz einen Fuß vor den andern, vom Zweifel geh weiter zum Glauben, und kümmere dich nicht um das, was unmöglich scheint. Entzünde ein Feuer, selbst mit den Dornen, die dich zerreißen.« (Frère Roger, ehem. Prior von Taizé): Walk on – You’ll never walk alone!

Pfarrer Andreas Bader

Vom Sich-Verloren-Gehen und Sich-Finden.

Die Liebe überwindet die Angst und lässt mich zu mir finden.

Es gibt zwei Grundweisen, wie Menschen sich in ihrem Leben verhalten können: Sie können in Freiheit leben oder sich von den Dingen abhängig machen. In unserer Sprache sind diese Grundweisen durch die Wörter »haben« und »sein« gekennzeichnet. 

So kann man sagen: Wenn ich mich davon abhängig mache, was ich habe, bin ich arm dran, selbst wenn ich reich bin. Wenn ich mich daran orientiere, was ich bin, kann ich reich sein, auch wenn ich arm bin. 

So gibt es auch die Unterscheidung zwischen Verloren-Sein und Verloren-Haben. Es ist etwas anderes, ob ich sage: „Ich habe verloren“ oder ob ich sage: „Ich bin verloren“. Beide Aussagen beschreiben zwei Grundängste, die uns Menschen umtreiben.

Inmitten einer fremden Großstadt oder auf einer großen Feier kann ich mich ganz plötzlich – allein, einsam und verloren fühlen. Es ist die Angst vor dem Verloren-Sein.

Andererseits gibt es auch die Angst vor dem Verloren-Haben. Die Angst, vielleicht zu verlieren, also am Ende verloren zu haben, hat beim Fußball schon viele Favoriten belastet. Manches wichtige Spiel wurde versiebt, weil der Mannschaft diese Angst im Nacken saß.

Ist es nur ein Spiel von vielen ist, das ich verliere, ist das vielleicht nicht so schlimm. Wenn es das »Spiel des Lebens« überhaupt ist, wird aus dem Verloren-Haben schnell ein Verloren-Sein.

Um das Verlieren geht es auch in dem bekannten Gleichnis Jesu vom »verlorenen Sohn«. Der jüngere Sohn nimmt sein Erbteil und sein Leben in die eigene Hand. Er ergreift seine Freiheit und will sein Leben mutig selbst gestalten. Am Ende wird sein Mut zum Übermut. Er verprasst sein Talent, er verliert seine Habe und endet kläglich bei den Schweinen. Er verliert das »Spiel des Lebens«. Er verliert sich selbst. Allein die Rückkehr zu seinem Vater und damit zu sich selbst wird zum Ausweg aus der Lebenskrise. Und die Liebe des Vaters zögert nicht einen Augenblick, ihn in die Arme zu schließen. Er hat sich verloren und sich in der Liebe wiedergefunden.

Seinem älteren Bruder geht es ganz anders. Für ihn stehen Sicherheit und Geborgenheit an erster Stelle. Er bleibt zu Hause auf dem Hof des Vaters. Die Freiheit seines jüngeren Bruders ist ihm verdächtig. Als dieser völlig zerlumpt wieder heimkehrt und vom Vater ohne Zögern wieder aufgenommen wird, ja sogar mit einem großen Fest belohnt wird, wird er neidisch. Er klagt den Vater wegen dessen offensichtlicher Ungerechtigkeit an. Dennoch lädtder Vater ihn ein, trotzdem mitzufeiern, am Fest des Lebens teilzunehmen. Der ältere Sohnwird eingeladen, sich zu öffnen. Er wird eingeladen, die Angst vor dem Verloren-Sein zu überwinden und Freiheit zu wagen.

Beide Söhne verlieren. Das Gleichnis handelt von zwei verlorenen Söhnen. In ihren Ängsten gehen sie sich verloren. Ihre Freiheit gewinnen beide erst in der Liebe des Vaters. In dieser Liebe Gottes ist es möglich, sich selbst zu finden und bei sich zu bleiben. 

Im mir findet sich beides, zu verschiedenen Zeitpunkten meines Lebens. Manchmal spüre ich Mut und Freiheitsdrang, manchmal verlange ich nach Geborgenheit und Schutz. Auch die Angst vor dem Verloren-Haben und die vor dem Verloren-Sein kenne ich. Ich weiß, dass ich mich selbst verliere, wenn ich Freiheitsdrang oder Sicherheit absolut setze und übertreibe. Denn ich kann nur wirklich leben, wenn ich mit Gott, der Liebe, verbunden bleibe. D.h., wenn ich mit mir selbst, mit meinem wahren Selbst in Kontakt bleibe. Wenn ich in meiner Mitte lebe. Dort ist Gott, der mich begleitet – immer, wie sollte es anders sein?Liebe gewährt Freiheit, sowohl von der Angst verloren zu sein als auch der Angst zu verlieren und am Ende verloren zu haben.

Pfarrer Andreas Bader